Spieltag: Donnerstag, 10. Februar 2011 » Lindnerhof /Carlas Zimmer

Carla schaltete das Licht in ihrem Zimmer ein. Auf den ersten Blick unterschied es sich nicht von einem normalen Gästezimmer, erst wenn man genauer hinsah und vor allem im Bad konnte man sehen, dass es sich um ein barrierefreies Zimmer handelte. "Leider gibt es nicht viel Auswahl an Sitzgelegenheiten. Sessel oder Bett, das ist jetzt die Frage." Meinte sie Augenzwinkernd. Sie wollte nicht scherzen, aber die angespannte Stimmung ein wenig lockern und sich selbst wohl auch ein wenig Mut zusprechen. Immerhin hatte sie gerade, das erste mal überhaupt, vor jemandem ihr dunkelstes Geheimnis preis zu geben.
Sie wartete also, bis Simon sich gesetzt hatte, bevor sie anfing zu sprechen. Eigentlich wußte sie nicht einmal warum es ihr so wichtig war, dass Simon ihre Reaktion von vorhin verstand.
"Ich...ich muß wohl ein ganzes Stück zurück gehen in meinem Leben, dass Sie alles verstehen. Und bitte, verstehen Sie mich nicht falsch, ich liebe meine Eltern und verdanken ihnen alles. Ich bin sehr behütet, ja überbehütet aufgewachsen. Als ich 14 war, wurde mir das alles zu eng, ich bin von zu Hause abgehauen. Bin nach Hamburg. Dort habe ich auf der Straße gelebt. Etwa ein Jahr habe ich mich so durchgeschlagen, als mich eines Tages ein Mann ansprach und mich zum Essen einlud. Was sollte ich machen, ich hatte seit zwei Tage nichts richtiges mehr in den Bauch bekommen, hatte schon Bauchschmerzen vor Hunger, da sagt man nicht nein, auch wenn man gelernt hat nicht mit fremden Männern mit zu gehen. Nach dem Essen meinte er ich müsse dafür bezahlen. Als ich ihm sagte ich hätte kein Geld hat er nur böse gelacht." Carla stockte, schwieg eine ganze Weile und hing ihren Gedanken nach, bevor sie weitersprach. "Es dauerte nicht lange und mir wurde schwummrig, so als hätte ich etwas zu viel Alkohol getrunken, aber ich hatte ja nur eine Cola zum Essen gehabt. Und dann hat er mich für das Essen bezahlen lassen." Wieder versagte ihr die Stimme, so erdrückend war die Erinnerung.

(--> Carla aus dem Speisesaal kommend)

Kurz sah Simon sich in dem Gästezimmer um, bevor er Carla wieder seine volle Aufmerksamkeit widmete. Er litt zwar nicht unter Panikattacken - hatte sich aber im Rahmen seines Berufes doch angewöhnt, einen ihm fremden Raum erst einmal einzusehen, so weit er eben konnte. Das Gästezimmer war freundlich eingerichtet und er konnte sich schon vorstellen, dass man sich im "Lindnerhof" durchaus wohl fühlen konnte. "Oh, ich denke, der Sessel wäre angemessener." Die Jacke und sein Waffenholster über die Armlehne legend ließ er sich in Carlas Sessel nieder. Ohne ihre Worte, wäre er gar nicht darauf gekommen, sich theoretisch auch auf ihr Bett setzen zu können, dann das schien ihm nicht angemessen zu sein. So ein Bett wer bei den meisten Menschen nicht ausschließlich zum Schlafen da, sondern wurde auch als ein Rückzugsort betrachtet, sei es nun bewusst oder unbewusst, und in den würde er nicht eindringen wollen und andere Tätigkeiten, die ins Schlafzimmer gehörten, darüber machte der Gentlemen in ihm sich nun gar keine Gedanken. Carla schwieg, bis er sich gesetzt hatte. Er lehnte sich zurück und streckte seine Beine ein bisschen aus um anzudeuten, dass er bereit war ihr zuzuhören.
Carla sprach von einer Art Flucht aus dem Elternhaus, aber völlig sachlich und zu guter Letzt mehr in Andeutungen, als in klaren Worten und doch ahnte Simon, worauf dieses Zusammentreffen Carlas mit dem Mann hinausgelaufen war - auf Sex. Er war also entweder ein Arschloch - oder ein Zuhälter. Beide Optionen waren ihm zuwider, aber der letzte Gedanke ließ ihn die Hände, die bisher entspannt auf seinen Oberschenkel gelegen hatten, zu Fäusten ballen. Carlas Stimme verstummte und auch vor Simons Augen schoben sich Bilder der Erinnerungen. Ja, er kannte dieses Milieu, in das Carla da vielleicht geraten war, nur zu gut, erinnerte sich an die Mädchen, deren Obdachlosigkeit, Arglosigkeit oder deren Eltern Armut schamlos ausgenutzt wurden, sobald sich diese mit jugendlicher Schönheit paarten! "Ich - Carla - ich weiß nicht, was sich sagen soll -ich.." Simon räusperte sich, denn auch er fühlte sich unwohl, als er sich an seine Zeit in Lübeck erinnerte. Von dort aus war er ins Hamburger Rotlichtmilieu eingeschleust worden und hatte manches Mädchen kennengelernt - und ihre Geschichten gehört. Nicht alle hatte er aus ihren Zwängen befreien können, sondern trat nicht nur als Zuhälter auf sondern gelegentlich gar als Freier, um ihnen Informationen über ihre Schicksale und Zuhälter entlocken zu können und einmal gar, war auch er schwach geworden und hatte die Grenze überschritten. Egal - das ist meine Geschichte und gehört hier nicht her... In seinem Gesicht spiegelte sich eine Mischung aus ehrlichem Mitgefühl, Verständnis und Ärger wieder, während er versuchte, seine eigenen Erinnerungen an diese Erlebnisse zu verdrängen. Tief holte er Luft, entspannte bewusst seine Hände und sah nun wieder Carlas Antlitz bewusst wieder. Es gelang ihm nicht, seine Besorgnis und den Wunsch, sie dieses Erleben vergessend machen zu lassen, gänzlich zu unterdrücken, so dass er vorsichtig seine Hand beruhigend auf ihren Oberschenkel legte. "Ich höre Ihnen zu Carla."

"Ich hatte gedacht ich dürfte danach gehen, aber er hat es nicht erlaubt. Meinte meine Schulden bei ihm wären noch lange nicht abgezahlt. Drei Jahre hat er mich bezahlen lassen, bis zu dem Unglückstag. Ich hatte meinen 18ten Geburtstag gerade ein paar Tage hinter mir und "durfte" jetzt auch Vorne arbeiten, wie er es nannte. So lange ich nicht volljährig war, hielt er mich mehr oder weniger unter Verschluß, aber nicht nur mich, auch andere Mädchen.
Nun, an jenem Tag oder besser Abend, führte die Polizei eine Razzia durch, es gab eine Schießerei. Ein Querschläger traf mich in den Rücken. Die Ermittlungen ergaben, dass es sich um die Kugel aus einer Polizeiwaffe gehandelt hat, aber bis heute ist nicht klar wer der Schütze war. Wobei, eigentlich müßte ich den Polizisten sogar dankbar sein. Denn durch ihn habe ich den Absprung geschafft. Bin wieder mit meinen Eltern versöhnt und habe ein gutes, eigenständiges Leben."
Nachdem sie geendet hatte blickte Carla Simon zum ersten Mal an, seit sie begonnen hatte, ihre Geschichte zu erzählen. Würde er sie jetzt verachten?

Schweigend, aber aufmerksam, hörte Simon zu und versuchte sich den Ekel, den er empfand nicht anmerken zu lassen, denn dieser galt nicht Carla, sondern ihrem Zuhälter. Es war eine Geschichte, wie viele, die er gehört hatte, und nichts daran erschien ihm unglaubwürdig. Er selber hatte sie gesehen, diese Mädchen, fast noch Kinder, die in den Hinterzimmern versteckt und wie nette Haustiere den Kunden angeboten wurden. Es war ein ekelhaftes Geschäft mit Ängsten, Unsicherheiten und der Schönheit, die ihren Preis für die Freier hatten. So neutral Carla auch darüber sprach, so sehr fühlte sich Simon von ihren Worten getroffen. Er war nicht so abgebrüht, dass er jetzt nicht tiefe Trauer darüber empfand und so strich er sich mit seiner freien Hand durch seine Haare, um das empfundene Entsetzen zu überwinden. Es ist Carla.. es trifft mich so, weil.. ausgerechnet Carla.. Kurz schien es ihm, als ob ihn seine eigene Vergangenheit einholen und ärgern wollte, denn ihm wurde bewusst, dass er Carla liebte - mehr, als er hätte sagen können.
Kurz nur lenkte ihn dieser Gedanke von ihrer Geschichte ab, doch als sie von der Razzia sprach, wurde er hellhörig. Razzien endeten selten in einer Schießerei und er selbst erinnerte sich an ein, zwei Schießereien im Rahmen einer Razzia, im Laufe seiner Dienstjahre. Noch seltener war es, dass ein Querschläger eines Polizisten einen Zivilisten - er hasste dieses Wort, hatte aber kein Anderes dafür - traf. In Hamburg war es damals zu einer Schießerei gekommen, an der er jedoch nicht beteiligt gewesen war. Er war als Zuhälter aufgetreten und hatte sich daher ohne Widerstand zu leisten mit verhaften lassen müssen. Er erinnerte sich, dass damals auch ein, zwei der jungen Mädchen gerade an Freier übergeben werden sollten, als seine Kollegen den sogenannten Salon, in dem die Mädchen präsentiert wurden, stürmten. Eine Kugel soll wohl.. war das etwa.. Simon räusperte sich, denn mit einem Mal war sein Mund trocken und sein Hals wie zugeschnürt. Er erinnerte sich an die Schreie, die Schüsse und auch an die Berichte am nächsten Tag in der Presse und in den Polizeiakten, die weit neutraler ausfielen, als die in den Medien. Er traute sich kaum, eine Frage zu stellen und doch musste er das wissen, um nicht für den Rest seines Lebens sich immer wieder mit Schuldgefühlen fragen zu müssen , ob womöglich einer seiner besten Freunde und Kollegen versehentlich die Frau angeschossen hatte, die er liebte. Seine Hand auf Carlas Oberschenkel zitterte vor Anspannung, als er sich ein zweites Mal räusperte und dann tonlos fast flüsternd zu sprechen begann. "Carla..wo war das? Bitte, ich muss dass wissen.." Noch offenbarte er nicht die Gründe für seine Frage, denn aus Carlas Sicht spielte das Wo vermutlich ein noch untergeordnete Rolle, als die nach dem wann. Sein Gesicht hatte die Farbe verloren, so sehr erschütterte ihn ihre Geschichte, obwohl er auch Erleichterung und Freude darüber verspürte, dass es Carla trotz oder gar wegen ihrer Behinderung gelungen war, aus dieser so widerlichen Szene zu entkommen.

Simon war blass geworden, als sie geendet hatte. Sie blickte auf seine Hand, die er auf ihren Oberschenkel gelegt hatte, sah wie sie zitterte. Vorsichtig legte sie ihre Hand darüber und schloß, genauso vorsichtig ihre Finger darum. Was war nur los, sie konnte seine Reaktion nicht einordnen. Sie wußte, dass sie ihn an dem Tag im Club gesehen hatte, hatte er etwa bei der Razzia selbst geschossen, war es vielleicht seine Kugel...? Er räusperte sich mehrfach bevor er sie kaum hörbar fragte, wo das passiert ist.
"Es war im Club Paradies. Ich weiß, Sie waren auch dort. Ich hab Sie dort öffter gesehen und Sie heute Nachmittag auch erkannt. Aber, warum...? Ich meine, haben Sie damals geschossen?" Carla hatte keine Wut auf den Polizisten, wer immer er auch sein mochte. Sie hatte einen wunderbaren Therapeuten gehabt, der sie danach betreute und mit dessen Hilfe sie das Unglück verarbeitet hatte.

Club Paradise - also doch.. Kurz betrachtete er Carlas Hand, die auf seiner lag. Sie hatte ihn gesehen! Deshalb also die Vorbehalte gegen mich.. Hält sie mich nun für einen Freier oder gar Zuhälter? Hat sie mich mit Elena.. gesehen? In dem Versuch sich daran zu erinnern, die Frage zu beantworten, ob Carla ihn damals hatte mit Elena schlafend gesehen haben konnte - so, wie vielleicht Dritte, denn man kam ja auch den Wünschen nach Spannern entgegen, für die dieser Club wohl ein Paradies sein konnte- biss Simon die Backenzähne aufeinander. Das darf doch Alles nicht wahr sein! Ausgerechnet.. Fassungslos sah er Carla an und war kurz davor aufzuspringen, um seinen Erinnerungen zu entkommen. Dennoch - ihre Hand lag auf seiner und so schien sie ihn doch nicht in Gänze abzulehnen. "Nein.. und..Ach, Carla.." Traurig und ein bisschen verzweifelt sah er sie an, bevor er dann langsam nickte. "Sie haben Recht - ich war da, mehr als einmal. Es ist nicht so, wie es aussieht." Noch einmal musterte ihr Gesicht und fragte sich kurz, warum sie ihm nie aufgefallen war - so eine Schönheit. "Nein - Carla. Ich habe nicht geschossen - das nicht." Seufzend fuhr er sich noch einmal durch die kurzen Haare, denn er war sich nicht sicher, was er ihr anvertrauen durfte. Der Fall war für ihn abgeschlossen, und er würde auch keine laufendenen Ermittlungen stören, und dennoch.. der Skandal dahinter, sollte besser der Öffentlichkeit vorenthalen werden. Langsam ließ er die Hand sinken und diese Geste wirkte so erschöpft, wie er sich gerade fühlte - wie nach einem anstrengendem Zirkeltraining. "Es mag so ausgesehen haben, zu mal ich mich mit habe verhaften lassen, und ich gebe zu, dass ich vor Ort war. Bitte, Carla, ich kann, will und darf nicht erzählen, was genau mich dorthin geführt hat - aber bitte, glauben Sie mir: Ich war weder ein Freier noch Zuhälter." Fast verzweifelt bittend, sah er sie nun an, denn dass sie ihm glaubte, war für ihn im Augenblick das Wchtigste. Zur Not würde er sich ihr gegenüber als dort verdeckt ermittelnder Kommissar outen und hoffen, dass die Geschichte mit Elena nicht ans Licht kam. Nein, das kann sie nicht gesehen haben.. das nicht. Ich hätte mich doch an sie erinnert, so sie anwesend gewesen wäre.. Wieder errötete Simon so leicht, dass man dieses auf die allgemeine Anspannung zurückführen konnte. Es war ihm peinlich, gegebenenfalls zugeben zu müssen, dass er schwach geworden war und sich auf Sex mit Elena eingelassen hatte, obwohl er damals zumindest sogar mit einer Staatsanwältin liiert gewesen war.

Obwohl Carla es ja schon gewußt hatte traf sein Geständins, dass er mehrfach im Club gewesen war, sie mit voller Wucht. Hatte doch ein kleiner Teil in ihr gehofft, dass sie sich geirrt hatte. Entsetzt stellte sie fest, dass seine Trauer, die sich gerade deutlich wiederspiegelte, ihr Genugtuung verschaffte. Sollte er ruhig ein wenig ein schlechtes Gewissen haben, dass er daran beteiligt gewesen war. Und doch, jedes mal, wenn er ihren Namen aussprach, war es wie Balsam für ihre Seele. Nun saß sie da hin und her gerissen, zwischen diesen sich widerstreitenden Gefühlen. Simon vor sich, der den Eindruck vermittelte so schnell wie möglich aus dieser Situation verschwinden zu wollen. Sie konnte es ihm nicht verdenken. "Es ist mir schon klar, dass Sie mir nichts erzählen dürfen. Sie waren der verdeckte Ermittler, auf dessen Veranlassung hin die Razzia durchgeführt wurde." Die Worte sagten zwar das, doch ihr Tonfall sagte, dass sie es ihm zu verdanken hatte, heute im Rollstuhl zu sitzen. Aus irgendeinem Grund wollte sie ihm weh tun und gleichzeitig wollte sie ihn in den Arm nehmen und trösten.

"Nein!" Es war nahezu ein Aufschrei, der dem sonst so beherrschten Simon entfuhr. Das war nicht der Plan - nicht so - , aber wie konnte er das erklären, ohne sich völlig zu outen? Ja, verdammt noch mal - er war der ermittelnd Beamte, hatte die Razzia vorbereitet und doch..er war doch nicht der Einsatzleiter gewesen! Carlas Ton nach, gab sie ihm die Schuld an ihrem Unglück und so weh ihm das auch tat, erinnerte er sich doch auch an ihre Worte zuvor. Mag sein, dass sie dadurch der Szene entkommen ist - aber um welchen Preis! "Es ist nicht so .. nicht so gewesen." Wieder flehte seine Stimme um Verständnis für seine Lage, während er seine Knie anzog. Etwas in ihm wollte gehen - und? Tja, was denn eigentlich? Carla vergessen? Seeland verlassen, um Carla nicht mehr ansehen zu müssen? "Carla, bitte.. Ich erkläre es Ihnen, so sie mich lassen.. " Ihm war nicht bewusst, dass er sie mit den selben Worten bat, wie schon einmal - und zu dem Zeitpunkt hatte sie seinen Worten keinen Glauben geschenkt. "Ja, ich war als verdeckter Ermittler dort und ja, der Zugriff und diese Razzia waren von langer Hand geplant, aber.. ach, verflucht noch eins, die Schießerei doch nicht. Das war nicht der Plan." Simon sprach mit Nachdruck und sah Carla an, die offenbar nicht wusste, wie sie ihn einschätzen konnte. "Bitte- es war Anders, auch wenn es sich nach einer Ausrede anhört". Simon seufzte und zog nun seine Hand zurück. Er wusste, dass er sich jetzt auf sehr dünnem Eis bewegte und auch wenn er ihr nur das Allernötigste anvertrauen wollte, rechnete er doch damit, dass sie ihn anschließend verachten würde. "Darf ich es erklären? Bitte, Carla?"

Carla war niemand, der einen Anderen vorschnell verurteilte, sie hörte sich immer mehrere Ansichten an. Als Simon jetzt fast entsetzt aufschrie zuckte sie zusammen. Er flehte sie tatsächlich an, ihm zu glauben, dass es nicht so war, wie es für sie vielleicht aussah. Sie würde ihm die Chance geben, seine Version der Geschichte zu erzählen. Danach würde sie sich ein Urteil erlauben. Als Simon seine Hand wegzog, wollte sie instinktiv danach greifen, sie festhalten, unterließ das aber dann. Stattdessen schlang sie ihre Arme um ihren Oberkörper, ihr war plötzlich so unendlich kalt. Sie benutzte die gleich Worte, wie er vorhin. "Ich höre Ihnen zu Simon."

"Danke.. " Simon war erleichtert und schon im Begriff, sich wieder zurückzulehnen, als er sah, dass sie die Arme um sich schlang. "Ich fürchte ich werde ein wenig ausholen müssen.." Er sprach wieder mit seiner gewohnt warmem und mit einer ruhigen Bewegung zog er sein Sakko aus, beugte sich vor, und legte dieses Carla um die Schultern - wusste er ja nicht, wo sie ihre Decke hatte. "So, ist's besser.. " Er lächelte, denn auch diese Worte hatte er schon einmal zu ihr gesagt, während er sich wieder setzte. Seine Augen schauten in die Ferne, als müsse er seine Worte noch suchen, während er seinen Bericht begann. "Es ist so gewesen. Ich bin von Lübeck aus im Club als vermeintlicher Freier und Zuhälter eingeschleust worden. Monatelange Ermittlungen gingen dem voraus, denn wir mussten sicher sein, dass ich das Risiko aufzufliegen, nicht umsonst eingehen würde, denn das passiert manchmal bei zu lange anhaltenden Ermittlungen.. Egal, damit will ich Sie nicht langweilen." Simon lächelte ein bisschen, denn seine Jacke stand Carla ganz gut, wie er fand. Hoffentlich fühlt sie sich darin auch geborgen.. "Wo.. ach so.. Es hat lange gedauert, aber irgendwann waren die Beweise gegen den Besitzer des Clubs erdrückend und wir hatten Namen - Namen von Zuhältern, Vermittlern der Mädchen und die ermittelten Zusammenhänge reichten bis nach Polen. Der Plan war eine Razzia unter laufenden Verhandlung mit mir als Zuhälter auftretend gewesen - ganz ohne Schießerei. " Simon schwieg, denn die Erinnerung an die Gründe für den verfrühten Zugriff hielt ihn für einen Augenblick gefangen. "Es.. ich werde noch weiter ausholen müssen.. Das war mein viertes Dienstjahr in Lübeck - ich war im Club, weil mein Gesicht in Hamburg ein unbeschriebenes Blatt war. Jedenfalls.. " Simon seufzte, denn er fürchtete, dass Carla ihm das nun Folgende wohl kaum verzeihen würde- obwohl.. nun ja, er war eben ein Mann und sie ging wohl nicht davon aus, dass er noch Niemals Sex gehabt hatte. "und.. ich war zu diesem Zeitpunkt mit der Staatsanwältin Lübecks liiert. Auch mit den Einzelheiten will ich Sie nicht langweilen - es kam Eines zum Anderen und schließlich trennte man sich im Laufe dieser Ermittlungen. Diese Staatsanwältin hat diese Razzia geleitet und viel zu früh eingeleitet, ohne mich zu informieren. Ich weiß nicht, ob sie meine Degradierung erreichen wollte nur eine Versetzung erzwingen.. . Damit habe ich nicht rechnen können und war über den Zugriff durch die Kollegen genau so überrascht, wie meine,Hmm, Verhandlungspartner? Na, wie auch immer.. Wider Erwarten waren diese bewaffnet und - - na, ja den Rest kennen Sie, nicht wahr? Wäre diese Razzia wie geplant durchgeführt worden, wäre ich auf der richtigen Seite ein paar Tage später involviert gewesen und der Zugriff hätte erfolgen können, ohne das irgendwelche - oh, wie dies Wort hasse- Zivilisten gefährdet gewesen wären. Ich hatte noch Glück, dass ich nicht aufgeflogen bin, denn ich habe wohl gesehen,wie überrascht meine Kollegen über meine Anwesenheit dort gewesen sind -ein falsches Wort.. und.. Na, ja.. wie auch immer - ich habe mich mit verhaften lassen und wurde abgeführt, noch während ein paar Meter weiter die Kugeln flogen.. "und hätte ich auch nur geahnt, dass Du in der Schusslinie warst - ich hätte mich dazwischen geworfen.. "Anschließend bin ich nach Seeland gegangen - eine gedeihliche Zusammenarbeit mit Ingrid, also der Staatsanwältin, war nicht mehr möglich und mein Gesicht wurde bekannt, als der Vorfall mit der Schießerei und dem Querschläger publik wurde. Mit dem verfrühten Zugriff hat Ingrid mich in ernsthafte Schwierigkeiten gebracht und mich quasi genötigt, ein Versetzungsgesuch einzureichen.. "
Während seines Berichtes hatte Simon es kaum gewagt, Carla anzusehen, sondern scheinbar interessiert seine Hände betrachtet. Erst jetzt sah er auf. "Das war meine Geschichte - und ich denke, ich verschwinde nun aus Ihrem Leben." Er erhob sich und nahm sein Holster, um sich dieses nun wieder anzulegen.

"Ja, vielleicht.. aber.. Carla- unser Zusammentreffen, das war richtig, oder?" Simon war gerade dabei die Schnalle seines Holsters zu schließen und zu kontrollieren, ob seine Waffe noch richtig saß, so dass er seinen geneigten Kopf hob und Carla schräg von unten ernst ansah. Sein Zusammentreffen mit ihr - war für ihn das Schönste seit langem und - das war doch richtig, oder? Die Waffe saß richtig und er bedauerte, dass er ihr nun das Sakko würde abnehmen müssen, die Jacke anziehen und dann gehen würde - aus ihrem Leben verschwinden, als habe es dieses für ihn nie gegeben. Die Vorstellung schmerzte ihn zutiefst und doch wusste er, dass das die einzig mögliche Option war. Er durfte Carla nicht wiedersehen, denn anderenfalls würde er früher oder später schwach werden, Begierden in ihr wecken, die doch körperlich nicht zu stillen wären. Eigentlich erwartete er keine Antwort mehr von ihr und doch richtete er sich nur langsam auf und nahm mit einer ebenso langsamen Bewegung seine Jacke vom Stuhl. "Carla.. " Ein letztes Mal nannte er ihren Namen, voller Wärme, bevor er sich die Jacke anzog. Es tat ihm in der Seele weh, dass sich ihre Wege so trennten, denn am Liebsten hätte er ihr die Sterne vom Himmel geholt - mal wieder. "Alles Gute - und da nicht für."
Er verließ das Zimmer und erst als er durch die Empfangshalle ging, bemerkte er, dass er sein Sakko bei ihr gelassen hatte - nun, ja.. sei es drum, dass konnte er wohl verschmerzen.
Der Himmel war mit Wolken bedeckt, es regnete und obwohl er Regen nicht mochte, war er um die Wolken dankbar, denn so konnte er die Sterne nicht sehen, die ihn wohl stets an Carla erinnern würde. Für sie finge ich jeden einzelnen - nur um ihr Lächeln zu sehen und ihre Augen glänzen, wie die Sterne..
Er schüttelte diese Gedanken ab, setzte sich ans Steuer und fuhr durch die Dunkelheit über die Küstenstraße zurück in den Osten Seelands - in seine Wohnung, in der ihn nichts an sein Zusammentreffen mit Carla erinnerte.

(---> in seine Wohnung im Osten Seelands.)